Standpunkt(e)

(1)
Daher ist es der einsichtsvolle Theil von Großbritannien, der seine Gedanken auf eine richtige Erziehung gewendet hat, beonders diejenigen, welche davon geschrieben haben, (sind) durchgehends der Meinung, daß es weit klüger sey, der Jugend eine Erziehung zu geben, davon ein jeder Theil leicht begriffen werden kann, und im öffentlichen Leben von allgemeinem Nutzen ist, als sie mit den todten Sprachen zu quälen. Und was den Kaufmann betrifft [dazu gehörten nach damaligem Sprachgebrauch nur die "Außenhandelskaufleute" heutigen Verständnisses (im Unterschied zu den "Händlern") ; K.F.P.], so ist es offenbar, daß er, ohne sie zu verstehen, in seinem Fach vollkommen seyn kann; ..."

Quelle:
Mortimer, Thomas (1730 - 1810):
Grundsätze der Handlungs- Staats- und Finanzwissenschaften, Leipzig 1781.
Darin: "Abriß von der Erziehung, den Eigenschaften und dem Charakter eines britischen Kaufmanns" (S. 291 - 302; hier: S. 295)


(2)
"Besondere Lehranstalten zur Bildung von angehenden Kaufleuten erscheinen im Allgemeinen von weit geringerem Werthe, als die landwirthschaftlichen und Gewerkschulen [...], weil die Geschicklichkeit im Handel weniger von der Aneignung wissenschaftlicher Erkenntniß als vom Scharfblick, Gewandtheit, Erfahrung und Uebung abhängt, weßhalb es am nützlichsten ist, wenn die zum Kaufmannsstande bestimmten jungen Leute frühzeitig in eine Handlung unter einem fähigen Vorsteher eintreten und sich auf Reisen weiter unterrichten (a). Doch giebt es einen Zweig der kaufmännischen Bildung, in welchem das Bedürfnis wissenschaftlicher Vorbereitung am Tage liegt, nämlich die Waarenkunde, welche aus einer Verbindung von Lehren der Naturgeschichte, Physik, Chemie, Landwirthschaftslehre und Technologie besteht (b) und am gründlichsten auf einer polytechnischen Lehranstalt erlernt werden kann. Auf der letzteren muß hiezu besondere Vorsorge getroffen werden [...]. Wenn man in einem Lande die Mehrzahl der Kaufleute weniger unterrichtet fände, als es im Vergleich mit anderen Ländern zu wünschen wäre, so könnten besondere Handelsschulen darum, weil auf solche die obigen Gründe nicht anwendbar sind, nützlich seyn (c)."

(a)
Auch der Nutzen von Privatinstituten für den Handel, wenn dieselben mehr als die Mittheilung allgemeiner Vorkenntnisse, hauptsächlich der neueren Sprachen und der kaufmännischen Rechenkunst bezwecken, ist deshalb zweifelhaft.

(b)
Am auffallendsten ist dies Bedürfniß bei dem Handel mit Material- oder Droguerie-Waaren, in welchem ohne naturhistorische und chemische Kenntniß den Forderungen der gegenwärtigen Zeit nicht mehr Genüge zu leisten ist.

(c)
Kaiserliche Commerzschule in St. Petersburg; 60 Zöglinge, unter denen die inländische Kaufmannssöhne auf Staatskosten erhalten werden. 4 Classen, mit 2jährigen Cursen.

Quelle:
Rau, Karl Heinrich:
Lehrbuch der politischen Oekonomie, zweiter Band: Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, Heidelberg 1828, S. 252
Rau (1792 - 1870) war in der Zeit des Übergangs von den Kameralwissenschaften zur Volkswirtschaftslehre Ökonom an der Universität Heidelberg.

(3)
Die Geschichte der klassischen deutschen Universität ist eine „Geschichte des ständigen Haderns mit der modernen Welt“ [nach Mitchel G. Ash: Mythos Humboldt (1999)]. Diese unselige Geisteshaltung zeigt sich auch bei dem konservativen Philosophen und Pädagogen Theodor Litt (1880 – 1962), der sich noch 1920 mit irritierendem Pathos und peinlich übersteigertem Patriotismus wie folgt geäußert hat:

„Mögen auch Fach- und Allgemeinbildung, was die Enge bezw. Weite ihres Gegenstandes angeht, so weit wie nur denkbar auseinandergerückt scheinen, so wird doch abzulehnen sein jeder Versuch der Lösung, der jene Doppelpflicht des akademischen Bildungsganges in zwei unabhängig voneinander, mit grundsätzlich verschiedenen geistigen Instrumenten zu bearbeitende Aufgaben zerspaltet, der den Akademiker hier die strenge Zucht fachlichen Unterrichts ertragen heißt, dort ihm eine umfassende Überschau über Welt und Leben in reinem Schauen und Genießen hinzunehmen gestattet (Hervorhebung im Original). Denn wie kann man hoffen, den Weg zur Einheit und Ganzheit des Lebens zurückzufinden, wenn man den, der Führer sein soll auf diesem Wege, selbst in einen dem tätigen Leben eingereihten Fachhomunkulus [Homunkulus (Goethe, Faust II): Mit Hilfe des Teufels künstlich im Laboratorium erzeugtes „Männlein“. Bei dieser Figur geht es Goethe um den Gegensatz von „Künstlichkeit“ und „Natürlichkeit“; K.F.P.] und einem über dem Leben schwebenden Weltbetrachter zerfallen lässt... (S. 10/11). Wer tief und brennend den Drang verspürt das Ich dem All von neuem zu vermählen, dem wird besonders verlockend der Ausweg erscheinen, dass er von der eigenen Kraft der Berufsvorbildung nur so viel gönnt, wie eben aus praktischen Gründen unumgänglich notwendig ist, alles andere aber dem Ganzen zu wendet, dem seine Sehnsucht gilt“ (S. 11). Es „meinen nicht wenige, dass ein kräftiger Abstrich an Theorie und erklügelter Methode, und, als Ersatz für sie, eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit den Aufgaben und Lehren der Praxis selbst, also eine gewisse Amerikanisierung der Berufsarbeit uns nur heilsam sein könne. Die also denken und sprechen, vergessen nur allzu sehr, dass jedes Volk seine eigene Weise hat, mit den ihm gestellten Aufgaben sich abzufinden. War es der Angelsachsen Art, durch reine Empirie und Routine sich zur Höhe der Leistung emporzuarbeiten, so ist der Deutsche auch in der Welt der Technik und Wirtschaft, gerade da am weitesten gekommen, wo er mit wohldurchdachtem System an seine Aufgabe herantrat...“ (S. 12). „Wir wissen es besser: nicht das Denken, sondern das „Erleben“, nicht die Reflexion, sondern die „Intuition“ führt zur „Harmonie mit dem Unendlichen“ (S. 14; Hervorhebungen im Original).

Aus:
Litt, Theodor, Berufsstudium und Allgemeinbildung auf der Universität, Leipzig 1920

(4)
Was würde der Kulturphilosoph und Pädagoge Theodor Litt (1880 – 1962) heutzutage angesichts der „Massenuniversität“ und des inzwischen „entzauberten“ Gymnasiums sagen? Seine (persönliche?) Überzeugung in der Mitte der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war diese:

„Abgöttische Verehrung der Wissenschaft, die als fatale Hinterlassenschaft des verflossenen Jahrhunderts wenigstens einen Teil der lebenden Generation belastet, die ratlose Zerfahrenheit unserer Lage, die das Verlangen nach geistigen Leitkräften dauernd wach erhält, und vor allem der übel beratene Ehrgeiz der Berufe und Berufsorganisationen, die den idealen wie den materialen Wert der eigenen Tätigkeit an dem Grade der Wissenschaftsbestätigung meinen ablesen zu sollen, wirken zu diesem Endergebnis zusammen. Auf allen Seiten werden die Anforderungen der Berufsvorbildung mehr und mehr in der Richtung auf die Oberklassen der gelehrten Schule [In jenen Jahren begann z.B. die Diskussion um die Errichtung von „Wirtschaftsoberschulen“; K.F.P.] oder gar die Hochschule vorgeschoben [Es war die Zeit, in der sich z.B. die Betriebswirtschaftslehre als Hochschuldisziplin etablierte, die doch das Ziel einer „akademischen“ Ausbildung betrieblicher Führungskräfte (von „Managern“) zum Ziel hatte; K.F.P.]; keine berufliche Tätigkeit kann, so möchte man meinen, gedeihen, wo nicht jeder Schritt durch ein Konsortium fachlicher Disziplinen, einen ganzen Schwarm von hilfreichen -ologien beraten wird. Und diese Expansion eines angeblich wissenschaftlichen Geistes, die das Bildungswesen der männlichen Jugend bereits auf weite Strecken hin ruiniert hat, greift neuerdings, ein fressendes Übel, auch auf das weibliche Bildungswesen über, …“ Diese Hypertrophie “würde selbst dann schweren Bedenken unterliegen, wenn durch diese „wissenschaftliche“ Ausbildung wirklich diejenige Hebung der Geister und der Leistungen erzielt würde, die ihre Verfechter mit so apodiktischer Sicherheit voraussagen. Aber in Wahrheit muß dieser innere Erfolg aus dem einfachen Grunde hier ausbleiben, weil der massenhafte Zustrom derer, die, ob tauglich und willig oder nicht, durch die besagten Tendenzen und Vorschriften zu den Stätten wissenschaftlicher Bildung hingenötigt werden, mit der Unentrinnbarkeit eines Naturgesetzes die dort zu leistende Bildungsarbeit auf das Niveau der Durchschnittlichkeit, ja auch Unterdurchschnittlichkeit herabsinken lässt, so dass die „Hebung“ zwar in dem wissenschaftlichen Aufputz der Lehrgänge und Prüfungen, in den materiellen und gesellschaftlichen Aspirationen der so als „wissenschaftlich“ Qualifizierten – aber beileibe nicht in dem inneren Gehalt und Ertrag dieser Ausbildung zutage tritt. Was sich mit dem stolzen Namen „Wissenschaft“ schmückt, wird damit in der Tat zur prunkenden Fassade, hinter der nicht die Geister ernstlichen Wahrheitsstrebens, sondern geistiger Hochmut und sozialer Dünkel hausen.“

Quelle:
Litt, Theodor:
Möglichkeiten und Grenzen der Pädagogik. Abhandlungen zur gegenwärtigen Lage von Erziehung und Erziehungstheorie, Leipzig und Berlin 1926, S. 28/29

Schon seit seiner Amtsenthebung durch die Nazis war Theodor Litt nicht mehr Teil der Elite, der er in seinen Schriften von 1920 und 1926 doch das Recht zuerkannt hatte, das „gemeine Volk“ für sich arbeiten lassen zu dürfen. Nach der bedingungslosen Kapitulation seitens der Wehrmacht (2.Mai1945) musste er erkennen, dass er in der SBZ auch nicht wieder Teil einer solchen Elite wird werden können. Deshalb bekannte er sich bei seinem wohl ersten öffentlichen Auftritt auf der Berufspädagogischen Tagung in Halle (Saale) im Dezember 1946 zu der folgenden Einsicht: „Heute sieht jeder, der nicht blind ist: Wenn es etwas wie Bildung überhaupt geben kann, dann nur in engster Durchdringung mit beruflicher Tätigkeit, denn diese berufliche Tätigkeit ist ja gerade die Form, in der wir alle Hand anlegen innerhalb des nationalen Ganzen. [...] Dies gilt für uns alle, für den Universitätsprofessor ebenso wie für den ungelernten Arbeiter“. Damit entlarvt er seine 1920 und 1926 vorgetragene „Philosophie“ als die eines mit Hilfe des Teufels künstlich im Reagenzglas erzeugten „Männleins“. Obwohl man m.E. als „Wissenschaftler“ nicht sehr viel tiefer fallen kann, hat man das offenkundig in Westdeutschland nicht wahrgenommen oder aber nicht wahr haben wollen…
Quelle:

Vgl. Litt, Theodor: Synthese zwischen Berufsbildung und Allgemeinbildung. In: Berufsbildung, 1 Jg. (1947) Heft 2, S. 1 – 6, hier S. 3 (wiederabgedruckt in berufsbildung/ Jubiläumsheft, a.a.O., S. 11 – 18); Litt hat übrigens Ende 1947 (67-jährig) wegen des in Gang gesetzten „Umkrempelns“ des gesamten Schul- und Erziehungswesens resigniert die SBZ verlassen.

(5)
Anderer Ansicht als der „frühe“ Litt war der Münchener Pädagoge Aloys Fischer (1880 – 1937). Einer seiner Arbeitsschwerpunkte war die Entwicklung der beruflichen Bildung und der beruflichen Schulen. Richtungsweisend ist die folgende Aufsatzstelle:

„Ich weiß mich frei von der vielfach ungesunden Sucht nach „Berechtigungen“, sehe in Bestrebungen, die „Vorbildung“ um jeden Preis zu steigern in der Hoffnung, dadurch die ökonomische Lage zu verbessern, eine wenig erfreuliche und in den weiteren Folgen gefährliche Tendenz der Zeit (1928; K.F.P.), aber ich kann mich trotzdem nicht der Einsicht verschließen, dass glatte Abweisung der berechtigten Forderungen eine schematische Behandlung von Fragen darstellt, die regional und nach Wirtschaftsprovinzen höchst individuell beurteilt und entschieden werden müssen. Seit die Spezialisierung die Spitze unseres Bildungssystems erobert hat, neben Universitäten, Technische Hochschulen, Handelshochschulen, Verwaltungsakademien und verwandte Spitzenschulen notwendig geworden sind, ist es ein Anachronismus, das Mittelstück der speziellen Wirtschaftsbildung nur in der Form der amputierten höheren Lehranstalt beizubehalten. Wer glaubt, dass die Disziplinen, die in Wirtschaftsoberschulen als Kernfächer des Lehrplanes im Vordergrund stehen, nicht genügenden Schulungswert, nicht genügenden Auslesewert für die rechtzeitige Erkennung der Hochbegabten, nicht genügenden Interessenwert hätten, urteilt wohl nach einer Kenntnis dieser Dinge, die seit dreißig und mehr Jahren veraltet ist, auch ohne Rücksicht auf die Lehrerschaft, deren dialektische“ Gestaltungskraft in so spröden, trockenen Stoffen wie es kaufmännisches Rechnen, Buchhaltung und Bilanzkunde, Versicherungswesen, Angestelltenrecht, Handels- und Wechselrecht nach der Meinung ferner stehender Beurteiler sind, Exerzitien des Geistes geschaffen hat, die sich sehen lassen können.“

Quelle:
Fischer, Aloys:
Wirtschaftsleben und Schulsystem. In: Vierteljahreshefte für Handelsschul-Pädagogik, 1. Jg., Berlin 1928, S. 1 – 13, hier Seite 10 (Dieser Aufsatz ist über meine Downloads leicht erreichbar.)

(6)
Hier nun soll die extreme Meinung des zu seiner Zeit bekanntesten deutschen Historikers und meistgelesenen politischen Publizisten widergegeben werden. Heinrich von Treitschke (1834 – 1898) gestattet uns einen Blick in den Wertekosmos eines Konservativen und auch in die Abgründe neuhumanistisch inspirierter Schulpolitik:

„Die Masse wird immer die Masse bleiben müssen. Keine Cultur ohne Dienstboten. Es versteht sich doch von selbst, wenn nicht Menschen da wären, welche die niederen Arbeiten verrichten. So könnte die höhere Cultur nicht gedeihen. Wir kommen zu der Erkenntnis, daß die Millionen schmieden, ackern und hobeln müssen, damit einige Tausende forschen malen und dichten können“ (S. 50 f). Und „so wird es für alle Zeiten dabei bleiben, daß die große Masse der Menschen thäig ist für die gröberen Bedürfnisse unseres Geschlechts. Und kann man denn im ernst wünschen, daß Jedermann eine geistig aristo- kratische Erziehung erhielte?“ (S. 53)

In: Treitschke, Heinrich von: Politik, Band 1, Leipzig 21899 (Seitenangaben oben). Bekannt geworden ist diese Stelle durch Kerschensteiner, Georg: Staatsbürgerliche Erziehung der deutschen Jugend, Erfurt 1901, S. 11. Und diese Stelle aus Kerschensteiner ist dann immer wieder zitiert worden (bis in die 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts) – ohne Rückgriff auf die (eigentliche)

Quelle:
Recherche: Senta Braun

(7)
Die Notwendigkeit der fachwissenschaftlichen Ausbildung von betrieblichen Führungskräften [im 19. Jahrhundert: von (selbständigen) Kaufleuten] wurde in Deutschland lange Zeit für nicht notwendig erachtet. Das lag vor allem an den unseligen Folgen der neuhumanistischen Bildungsideologie, deren Aufkommen im frühen 19. Jahrhundert mit den Namen Johann Gottlob Fichte (1762 - 1814), Wilhelm von Humboldt (1767 - 1835) und z.B. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768 - 1834) verbunden war. Diesen wirklichkeitsbilinden Männern ging es bei der Erziehung vor allem um die Entwicklung "allgemeiner" persönlicher Eigenschaften, wobei es nicht wichtig war, wo und wie sich ein Mensch/Student die gewünschten Eigenschaften aneignete. Denn "Bildung" bedeutete vor allem die Vermittlung von "Kultur". Aber die Universitäten hatten stets auch die Aufgabe, "Fachwissen" zu vermitteln. Unstreitig war dies im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert allerdings nur für die Ausbildung von Theologen, Staatsdienern, Juristen und Medizinern. In allen anderen Fällen galt eine pragmatische Ausrichtung der Lehre im Hinblick auf spätere Berufstätigkeiten als unwissenschaftlich, und das in der Zeit der beginnenden Industrialisierung, in der das Bürgertum die Unterstützung seitens der Gelehrten so dringend bedurft hätte.

(8)
Roland Bubik beleuchtet in seiner hoch interessanten Mannheimer Hochschulschrift (Geschichte der Marketing-Theorie. Historische Einführung in die Marketing-Lehre, Frankfurt a.M. 1996) die Entwicklung der Marketingdisziplin (eine Art „Parallel-BWL“) vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen. Seine Ausführungen über ein „feindlich gesinntes Umfeld“ in Deutschland haben in dieser Form sicherlich auch Gültigkeit für die Frühphase des modernen kaufmännischen Schulwesens.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich große Teile der „Intelligenz“ in Deutschland vom Rationalismus der Aufklärungszeit abgewandt. Die Spitze der Verwerflichkeit wurde dem Rationalismus des Kaufmanns zugeschrieben, der ja nicht zuletzt auf dem Gewinnkalkül
basierte (S. 71).

„Ein eindrucksvolles Zeugnis für die intellektuell begründeten Widernisse, denen das Denken über die Institution und Tätigkeit des Handels ausgesetzt war, legt z.B. Werner Sombart (1863 – 1941) ab. 1915 setzte der Wirtschaftswissenschaftler in seiner (den „jungen Helden draußen vor dem Feinde“ gewidmeten; K.F.P.) Schrift »Händler und Helden« (München und Leipzig) zum [...] Rundumschlag gegen die größten Feinde der Nation an: die Händlergesinnung und die Engländer, deren Nationalcharakter eben diesen Geist verkörpere. Das entgegengesetzte Prinzip manifestierte sich im deutschen Heldentum. Die Gesinnung der Händler wird zum Inbegriff alles Feindlichen und Zersetzenden: »Kein geistiger Kulturwert kann aus Händlertum erwachsen. Nicht jetzt und auch nicht in aller Ewigkeit« (Sombart, S. 50). Der Händlergeist sehe »das ganze Dasein auf Erden als eine Summe von Handelsgeschäften« an (Sombart, S. 14), er besitze ein »lebenszerstörendes Wesen« (Sombart, S. 39) und bedrohe als universales Prinzip die Nation: »wir haben achtzugeben, daß der Feind, der Händlergeist, nirgends in unsere Sinnesart eindringe: nicht von außen und nicht von innen«“ (Sombart, S. 144/45, Bubik S. 72).

Bei einem derartigen Feldzug gegen „liberal-bürgerliche Anschauungen“ und wenn „Händlertum“ zum „kulturellen Fremdkörper“ erklärt wird, dann haben es Handelsschulen (die zudem unter dem Verdacht standen, den Weg zur „Kommerzialisierung“ aller Bevölkerungsschichten zu eben.) und auch die „Handelswissenschaft“ (viele Jahre als Lehre von der „Profitmacherei“ diffamiert, was speziell die Behandlung absatzwirtschaftlicher Fragen unmöglich machte) in ihrer Entstehungsphase mit einer sehr, sehr schweren Bürde zu tun gehabt, die m.E. in den zugehörigen Historiographien nicht hinreichend gewürdigt worden ist.

527efb333